Grillen – alles Wurst?

Mit den jüngsten Corona-Lockerungen wurde es endlich wieder möglich: Grillen mit Freunden oder Familie. Oder naja, zumindest mit einer befreundeten Familie. In unserem Fall wurde das erste Grillen in Gesellschaft in diesem Jahr zur Vatertagsaktion mit Onkel, Tante und Cousinen. Die Stimmung war heiter, alle freuten sich mal wieder andere Gesichter als die der eigenen Kernfamilie zu sehen (ganz ehrlich: ich liebe meine Mäuse, aber nach über 2 Monaten fast nonstop war der Nachmittag so berauschend wie früher ein Wellness-Wochenende mit Freundinnen. Und zwar ohne Alkohol!).

Gegen Abend wurde der Grill angeworfen, und schon bald türmten sich allerlei Leckerein auf dem Tisch, darunter verschiedene Sorten Fleisch und Wurst, Grillkäse, gefüllte Champignons, ein griechischer Nudelsalat und ein Tex-Mex-Salat. Während wir in fröhlicher Runde unsere Teller mit den jeweiligen Favourites füllten, ließ ich meinen Blick schweifen und analysierte mal eben schnell die Teller. Minimaus ertränkte ihr Würstchen in Ketchup, futterte es im Eiltempo weg und verlangte das nächste. Kein Brot, kein Salat, kein Knabbergemüse. Mittelmaus drapierte ein halbes Steak und ein halbes Würstchen kunstvoll so, dass eine Berührung mit der Probierportion vom Salat ausgeschlossen war. Zum Glück, wie sich nach einem vorsichtigen Versuch heraus stellte: “Nö, das passt nicht zu Fleisch und Wurst.” Die große Maus verkündete großen Hunger, nahm sich Wurst, gefüllte Pilze, Salat und Baguette und schnabulierte alles weg. Die Männer konzentrierten sich auf die verschiedenen Fleischsorten, meine Schwägerin und ich fuhren die “Ein-bisschen-von-allem”-Schiene.

Fazit: Fleisch und Wurst waren die heißesten Anwärter auf den nächsten freien Platz auf dem Teller. Das bestätigt meine Beobachtungen früherer Grillabende. Für mich persönlich ist ein guter Salat beim Grillen mindestens ebenso wichtig wie gutes Fleisch; ich würde lieber auf das Grillgut als auf den Salat verzichten, denn ich liebe Salate jeglicher Art. Aber selbst wenn dem nicht so wäre, hätte ich mich vor noch nicht allzu langer Zeit wirklich schwer damit getan, nur Fleisch und Brot oder – Gott bewahre – sogar nur Fleisch zu essen. Denn erstens, so meine damalige Überzeugung, muss man ja auch vom “Gesunden” etwas essen. Und zweitens gehört es sich einfach nicht, nur Fleisch zu essen. Was aber steckt eigentlich hinter diesen Überzeugungen?

Die erste ist ganz klar zurück zu führen auf gängige Darstellungen gesunder Ernährung: viel Gemüse, viel Kohlenhydrate, aber wenig Fleisch und Wurst sollten das Ziel sein. Die zweite ist ein bisschen komplizierter. Dahinter steckt ein Glaubenssatz: es gehört sich nicht, sich nur von den guten Sachen zu nehmen. Und diese “guten Sachen” sind in vielen Familien – auch in meiner Herkunftsfamilie – das Fleisch, die Wurst, der Fisch. All die Dinge, die sich frühere Generationen nur sonn- und feiertags leisten konnten und die dann oftmals das i-Tüpfelchen, aber keinesfalls das Nahrungsmittel zur Sättigung waren. Unerhört, wenn jemand davon riesige Mengen auf den Teller geladen hätte. Und obwohl die Situation heute eine ganz andere ist, steckt dieses Denken noch in vielen Köpfen, es ist uns sozusagen anerzogen worden – ein Glaubenssatz eben.

Gemeinsam ergibt sich daraus eine doppelt schwere Überzeugung, zum Grillfleisch auf jeden Fall noch Brot und Salat essen zu müssen. Und früher haben auch wir das mit unseren Kindern so gehandhabt: “Noch eine zweite Wurst? Bitte, gerne, aber erst, wenn du Brot und Salat oder Gemüse gegessen hast.” Regelmäßig ist dabei folgendes passiert: das jeweilige Kind futtert widerwillig Brot und Gemüse, bis die Eltern (also wir) entscheiden, dass das jetzt “genug” war, um eine zweite Wurst haben zu können. Diese zweite Wurst wurde immer – ausnahmslos – bis auf den letzten Krümel verputzt. Klar, hatte sich das Kind ja auch redlich verdient.

In meiner Ausbildung zum Coach für intuitive Ernährung in der Familie habe ich gelernt, umzudenken und mich von derartigen Glaubenssätzen zu verabschieden. Heute dürfen unsere Kinder beim Grillen (und auch sonst) alles essen, was sie wollen, und sie dürfen alles ablehnen, was sie nicht wollen. Speziell beim Grillen läuft es dann tatsächlich oft auf Wurst und Fleisch mit Ketchup hinaus. Manchmal noch mit Brot dazu. Aber: nicht immer wird Nachschlag verlangt. Und wenn doch, bleibt am Ende oft etwas übrig. Und gelegentlich kommt es vor, dass zum Nachtisch Gemüsesticks geknabbert werden. Unterm Strich essen unsere Kinder also mit diesem Ansatz insgesamt weniger. Was einleuchtet, wenn man sich klar macht, dass Kinder von sich aus aufhören zu essen, wenn sie satt sind – sofern wir nicht regulierend eingreifen. Erst die Reglementierung durch uns Eltern führt dazu, dass Kinder verlernen, auf ihr natürliches Hunger- und Sättigungsgefühl zu hören. Deshalb mein Vorschlag: wenn eure Kids beim nächsten Grillen nur Würstchen mögen – lasst es euch Wurst sein. Und schaut mal, was passiert!

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