Vor kurzem verbrachte ich anlässlich eines anstehenden Junggesellinnenabschieds einen langen Abend mit einem ganzen Berg alter Fotoalben, aus denen ich ein paar Highlights der Vergangenheit rauskramen wollte, um die Braut (meine Schwester) damit zu überraschen. Und wie das so ist bei solchen Dingen (zumindest bei mir): der Abend wurde lang und länger, ich entdeckte längst vergessene Erinnerungen wieder und meine Kindheit lebte vor meinem inneren Auge wieder auf. Natürlich war auch ich auf vielen Bildern zu sehen, und plötzlich machte ich eine Entdeckung, die mich nicht nur überraschte, sondern fast schon schockierte.
Mein ganzes Leben lang war ich überzeugt gewesen, als Kind wirklich proper, um nicht zu sagen ziemlich pummelig gewesen zu sein. Mein “Speckröllchen” am Bauch war sagenumwoben, bei jedem Bad wurde auf neckische Art und Weise irgendein Kommentar dazu abgelassen. Beim Raufen und Kitzeln mit meinem Vater war das “Röllchen” regelmäßig erklärtes Ziel der Kitzelattacken, und ich erinnere mich, dass ich des öfteren den Satz sagte: “Das Röllchen ist heute geschlossen!” Als kleines Kind mag ich das alles vielleicht noch lustig gefunden haben, aber ich erinnere mich gut an mein Unbehagen meinem Bauch gegenüber, als ich größer wurde – vor allem, weil auch meine Eltern, insbesondere meine Mutter, nicht mehr ganz so entspannt wirkten im Umgang mit meiner Körperform. Meine Mutter, selbst schon seit Kindertagen übergewichtig, ermahnte mich unablässig weniger zu essen, ich würde sonst genauso dick wie sie werden. Kein Wunder also, dass ich bis heute ein inneres Bild von mir als pummeligem Kind mit mir herum trage.
Zurück zu den Fotos. Während ich die Alben durchschaute, wurde mir plötzlich klar, dass auf keinem dieser Bilder ein pummeliges oder gar dickes Kind zu sehen war. Wirklich auf keinem! Was ich sah, war ein Mädchen, an dem ich über die Jahre hinweg die Wachstumsschübe erkennen konnte – mal war ich schlanker, mal weniger, aber immer war ich objektiv betrachtet absolut im grünen Bereich. Und ich erkannte in diesem Moment (und wirklich erst in diesem!), dass ich seit meiner Kindheit mit einem völlig falschen Selbstbild unterwegs bin. Ein Selbstbild, das mich in der Pubertät (als sich nun tatsächlich ein paar Pölsterchen bildeten, die sich vermutlich von alleine verwachsen hätten) in eine Essstörung trieb, die mich bis weit ins Erwachsenenleben begleitet hat. Ein Selbstbild, das mich viele Jahre lang dazu veranlasste um alle körperbetonten Kleidungsstücke einen weiten Bogen zu machen aus der Überzeugung, ich könne sie ohnehin nicht tragen. Die eigentlich liebevoll-neckisch gemeinten Kommentare zu meinem Körper und die spürbare Angst meiner Mutter, ich könne dick werden, hatten meine Eigenwahrnehmung in eine ziemliche Schieflage gebracht.
Bezogen auf die Elternrolle heißt das: unsere Worte haben eine gewaltige Kraft, und sie wirken lange nach. Jedes Wort von uns, das wir in Bezug auf den Körper unserer Kinder äußern, beeinflusst ihr Selbstbild. Es ist nachgewiesen, dass Jugendliche mit Essstörungen zu Hause häufig mit Kritik am eigenen Körper und darauf basierend mit Reglementierung, Kontrolle und Verboten beim Essen konfrontiert sind. Das war mir eigentlich schon vorher klar, weshalb ich es seit jeher vermeide, die Körperform meiner Kinder in irgendeiner Art und Weise negativ zu kommentieren, wenn sie dabei sind. Wenn nötig, suche ich nach neutralen Formulierungen, die mit dem Körper nichts zu tun haben (“Das T-Shirt ist zu eng, wir versuchen mal eine Nummer größer.” oder “Aus dem Kleid bist du leider heraus gewachsen, das müssen wir weg packen.”). Denn eines müssen wir uns klar machen: niemand kann etwas für seinen Körper. Wir suchen uns nicht aus, ob wir blaue oder grüne Augen haben, ob wir eher schlank oder kräftig gebaut sind, ob wir Sommersprossen haben und und und. Jeder Körper ist anders, jeder Körper ist gut, so, wie er ist. Auch beim Loben beziehe ich mich daher selten auf körperliche Merkmale. Natürlich sage ich, wenn ich eine Frisur gelungen finde, oder wenn ich finde, dass einer meiner Mäsue eine Farbe besonders gut steht. Der Körper aber bleibt verbal unangetastet. Zweifel an der eigenen Vollkommenheit werden spätestens im Jugendalter noch ausreichend durch die Medien und gehässige Komentare von Gleichaltrigen gesät. Meine Rolle als Mama ist es meinen Mäusen zu vermitteln, dass ich sie genauso liebe, wie sie sind.
Ob mir das immer wirklich gut gelingt, daran sind mir an jenem Abend vor einigen Wochen ein paar Zweifel gekommen. Denn auch mich plagt im Bezug auf meine große Maus (die zwar normalgewichtig, aber im Gegensatz zu ihren Schwestern immer eher an der Obergrenze des Normbereichs angesiedelt ist) oft die Angst, sie könne zu dick werden. Ich begann mir die Frage zu stellen, ob ich damit vielleicht die unbegründete Angst meiner Mutter übernommen hatte, und schaute nun auch Bilder aus den vergangenen Jahren an, als meine Mäuse noch kleiner waren. Und was soll ich sagen: auf allen Bildern sehe ich ein vollkommen normalgewichtiges Kind. Diese Erkenntnis hilft mir ungemein, besser mit meiner Angst umzugehen und sie abzulegen, und das kommt zu einem guten Zeitpunkt. Denn auch wir steuern gerade auf die Pubertät zu und die ersten körperlichen Veränderungen sind deutlich zu sehen. Ich habe mir fest vorgenommen, mich innerlich zu entspannen und darauf zu vertrauen, dass aus meinem vollkommenen Kind eine vollkommene junge Frau werden wird.
In diesem Sinne: lasst es euch schmecken. Und bleibt im Vertrauen.
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