Gesund ist, was schmeckt

“Mama, kann ich was Süßes?” Nur wenige Sätze hören Eltern so oft wie diesen. Meine Familie bildet da keine Ausnahme. Der Tag, an dem diese Frage nicht gestellt wurde, liegt vermutlich vor dem Erstkontakt der großen Maus mit Süßigkeiten. Was dann ungefähr acht Jahre wären. Und mit dem Spracherwerb jeder weiteren Maus ist die Häufigkeit der Frage in die Höhe geschnellt, denn sie wirkt offensichtlich ansteckend: “Mama, kann ich was Süßes?” – “Ich auch!” – “Und ich auch!”

So weit, so gut. Ich habe auf diesem Blog ja bereits mehrfach dafür geworben, keine Angst vor Zucker, Süßigkeiten und “ungesundem” Essen zu haben und auf die Innensteuerung unseres Körpers zu vertrauen. Das ist die Grundlage des intuitiven Essens und meiner Ansicht nach der beste Weg, um Kinder körperlich und seelisch gesund ins Leben zu führen. Gesunde Ernährung kann für jeden einzelnen etwas anderes bedeuten, und jeder Mensch ist der beste Ernährungsexperte für sich selbst. Gesund ist, was uns schmeckt.

Aber ist es nicht so, dass Kinder dann eigentlich immer nur Süßigkeiten essen würden? Denen schmeckt doch nichts anderes, oder? Das legen ja auch die Fragen meiner Kinder nahe.

Natürlich kann und soll intuitive Ernährung kein Freibrief dafür sein, jeder Frage nach Süßigkeiten (oder auch anderem Essen) jederzeit nachzugeben. Denn leider steht der gesunden Innensteuerung eine laute Außensteuerung gegenüber, sodass viele Menschen heutzutage enorme Schwierigkeiten haben, ihre eigenen Körpersignale wahrzunehmen und richtig zu deuten. Das gilt auch für Kinder – je mehr sie in der Familie, in Kita oder Schule zu einer “gesunden” Ernährung angehalten und dahingehend kontrolliert werden, je mehr sie einem festen Essrhythmus unterworfen sind (was spätestens mit Schuleintritt fast unweigerlich der Fall ist), desto schwerer wird es, den inneren Signalen Gehör zu schenken. Dazu kommt die Sache mit dem emotionalen Essen, das heißt bestimmte Lebensmittel – meist Süßigkeiten, Chips etc – werden als Trost, Belohnung oder zur Motivation eingesetzt. Ein Muster, das Kinder lernen und verinnerlichen. Häufig steht deshalb hinter der Frage nach Süßigkeiten etwas ganz anderes – und genau hier kommt es darauf an, dass wir unsere Kinder dabei unterstützen, genau auf ihre inneren Signale zu achten.

Da sind zum einen die rein äußerlichen Trigger. Minimaus schreit bei uns zum Beispiel fast nur dann nach Süßigkeiten, wenn die anderen beiden das auch tun oder wenn jemand die Tür des Schrankes öffnet, in dem sich die Süßigkeiten befinden (und außerdem Gewürze, Backzutaten und einiges mehr, das regelmäßig gebraucht wird) – also ganz klar von außen getriggert. Gehen wir an der Bäckerei vorbei, will sie grundsätzlich eine Breze – auch wenn wir kurz zuvor gut und ausgiebig gegessen haben. In solchen Fällen biete ich erstmal eine gemeinsame Aktivität wie kuscheln, vorlesen oder toben an oder stelle – wie im Fall der Bäckerei – den Spielplatz in Aussicht. Hilft das, war Essen nicht das wahre Bedürfnis. Bleibt sie bei ihrem Wunsch, bekommt sie etwas und ist dann meistens auch zufrieden.

Mit größeren Kindern funktioniert das meiner Erfahrung nach nicht mehr wirklich gut – wenn meine beiden großen Mäuse Süßigkeiten verlangen, dann haben sie das ziemlich fest vor Augen und lassen sich vielleicht gerne etwas vorlesen, kommen danach aber direkt zur Ausgangsfrage zurück. Trotzdem erkenne ich inzwischen ziemlich gut die Muster: die beste Freundin ist heute schon verabredet? In der Schule haben die anderen so komisch getuschelt? Kind hat gerade Langeweile? Streit mit Mama, Schwester, Freunden? Eine schlechte Note eingefahren? Keine Lust auf Hausaufgaben? Alles klassische Situationen, in denen nach Süßkram gefragt wird. Wenn mein Gefühl mir sagt, dass so eine Situation gerade hinter dem Wunsch nach Essen steht (egal ob Süßkram oder etwas anderes), sage ich “Nein.” Und nehme mir im Idealfall Zeit zum Reden: Wie geht es dir? Was brauchst du wirklich? Und was könnte eine Lösung für deine Situation sein? Das heraus zu finden braucht vor allem am Anfang Zeit und manchmal auch Nerven. Am Ende aber sitzen wir dann oft doch kuschelnd auf dem Sofa. Ohne Essen.

Trotzdem kommt es natürlich vor, dass Kinder – ja, auch meine – nach Essen Fragen, weil sie Hunger haben. Oder schlicht und ergreifend einfach gerade Appetit auf eine Süßigkeit. Das ist ok, darf so sein und wird bei uns nicht weiter kommentiert – dann gibt es einfach etwas. Wenn die Mäuse zum Beispiel stundenlang draußen gespielt haben und dann an der Haustür nach einem Schokoriegel fragen, bin ich mir ziemlich sicher, dass sie den Energieschub grade gut gebrauchen können.

Kommt aber ein Mäuschen immer wieder angeschlichen, fragt immer weiter nach Süßigkeiten, auch wenn es schon reichlich gab, dann ist das manchmal auch ein Zeichen dafür, dass der Körper tatsächlich nach Nahrung verlangt, aber eben nicht vorwiegend nach schneller Energie in Form von Zucker. Dann helfen bei uns meine so genannten “Menükärtchen” – ein selbst gebasteltes Set aus Kärtchen mit verschiedenen Geschmacksrichtungen, Konsistenzen und Temperaturen. Aus denen lasse ich das jeweilige Mäuschen dann eine Kombination zusammen stellen, die sich gerade gut anfühlen würde.

Die Ergebnisse sind manchmal erstaunlich. Als die große Maus neulich wiederholt nach Süßigkeiten fragte, legte ich ihr irgendwann die Karten hin. Sie kombinierte “salzig”, “scharf” “kalt” und “knackig”. Wir überlegten gemeinsam, was dabei wohl rauskommen könnte, und landeten bei einem Käsebrot mit Radieschen – das inhalierte sie in Windeseile und war danach satt und zufrieden. Und selbst erstaunt darüber, dass das jetzt “viel besser war als etwas Süßes”.

Gesund ist also tatsächlich, was uns schmeckt – was uns schmeckt, müssen wir aber manchmal erst herausfinden. In diesem Sinne: Lasst es euch schmecken!

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