Es ist eine klassische Situation mit einer unserer Mäuse: der Tag ist irgendwie langweilig, die Hausaufgabe doof, niemand hat Zeit zum Spielen und Hörspiele und Malbücher sind irgendwann auch nicht mehr der Bringer. Der Weg aus dieser Situation führt das Mäusekind – gefühlt – unweigerlich zur Nasch-Schublade bzw zu uns mit der Bitte um eine Süßigkeit. Schlimmstenfalls – und das kommt seit Corona ziemlich oft vor – mehrmals innerhalb kürzester Zeit. Die elterlichen Alarmglocken tanzen Samba – wie reagiert man am besten, wenn die dritte Portion Schoki eingefordert wird?
Auf diesem Blog habe ich bereits vielfach für den entspannten Umgang mit Süßigkeiten und überhaupt Essen jeglicher Art plädiert. Dafür, dass wir unseren Kindern, ihrem Körper und ihrem Bauchgefühl vertrauen. Dass wir uns von starren Regeln und Ernährungspyramiden verabschieden, um zu einem entspannten und natürlichen Essverhalten zu finden. Und genau da ist die Stelle zum Aufpassen: “natürliches Essverhalten” bedeutet zu essen, wenn man hungrig ist, und zwar das, was einem in diesem Moment gut bekommt. Kann das Schokolade sein? Oder Gummibärchen? Oder Cola? Klar, wenn man vorher stundenlang draußen rumgetobt hat, Trampolin gesprungen, Inliner gefahren oder sonstwie in Bewegung gewesen ist – dann braucht es manchmal einen schnellen Energiekick, und den liefern uns Süßigkeiten auf jeden Fall. Oben genannte Situationen kommen bei mir selbst eher selten vor – weder hüpfe ich mit meiner Nachbarin auf unserem Trampolin, noch spiele ich nach dem Mittagessen mit großer Ausdauer fangen, wenn man mal von den Tagen absieht, an denen ich Minimaus durchs Haus jage, um ihr den Ketchup von Mund und Händen zu wischen….. ob ich deswegen keine Süßigkeiten esse? Doch, natürlich. Meistens, weil ich einfach gerade Lust darauf habe. Und das ist ok so. Auch bei unseren Kindern. Und im Normalfall lässt sich diese Lust auf Süßes auch ganz gut befriedigen und elterliche Intervention ist in diesem Fall ebenso so unangebracht wie kontraproduktiv.
Was aber, wenn Kinder (oder wir selber!) ganz offensichtlich zu Süßigkeiten greifen bzw. danach verlangen, weil sie emotional nicht im Gleichgewicht sind? Weil sie gelangweilt, unterfordert, genervt, frustriert oder traurig sind? In diesem Fall handelt es sich um so genanntes “emotionales Essen” – wir oder unsere Kinder essen nicht aus Hunger, sondern sie versuchen damit ein emotionales Bedürfnis zu befriedigen – was natürlich nicht geht. Wer jemals Liebeskummer hatte und dabei schachtelweise Pralinen verdrückt hat, weiß, wovon ich spreche. Die Schokolade macht anfänglich ein “gutes” Gefühl, das aber schnell nachlässt – Nachschub muss her. Begegnen wir unseren seelischen Bedürfnissen über längere Zeit mit Essen statt mit dem, was wir gerade bräuchten (z. B. Liebe, Zuneigung, Bestätigung, Abwechslung….), führt das unweigerlich zu einer Gewichtszunahme und letztendlich auch zu Übergewicht. Deshalb: nein, wenn wir ganz deutlich erkennen, dass unser Kind isst, um emotionalen Druck abzubauen, dürfen und müssen wir eingreifen. Nicht, indem wir die Menge an Süßigkeiten, Fett, Zucker oder was auch immer regulieren. Nicht, indem wir Regeln einführen wie “erst ein Obst, dann die Gummibärchen”. Und auch nicht, indem wir unsere Kinder zurecht weisen oder ihnen sagen, dass sie zuviel essen. Sondern indem wir mit ihnen ins Gespräch kommen, sie in den Arm nehmen, mit ihnen heraus finden, wo es wirklich hakt, und gemeinsam Alternativen zum Frust-Essen finden.
Heißt bei uns konkret: wenn das Mäusekind nach dem Streit mit der Schwester, der Spiel-Absage von der besten Freundin oder bei offensichtlichem Schulfrust ständig vor der Naschbox steht, sagen wir spätestens beim dritten Mal nein. Und laden dann meistens zu einer Kuschelrunde auf dem Sofa ein um gemeinsam zu überlegen, was eigentlich gerade los ist. Nicht immer finden wir sofort Antworten und Lösungen. Aber sehr oft ist bereits das Gespräch, die Zeit, die wir uns nehmen, ein bisschen mehr von dem, was die Seele braucht. Und Schokolade danach kein Thema mehr.
Übrigens: eine Studie, die sich mit der Veränderung von Verhalten und Essgewohnheiten während der Coronakrise beschäftigt hat, kam zu folgendem (wenig überraschendem) Ergebnis: Kinder bewegen sich seit Ausbruch der Pandemie weniger, essen aber mehr Süßigkeiten. Und eine andere Studie zeigt: soziale Isolation löst im Gehirn ähnliche Reaktionsmuster aus wie Essensentzug. Unter sozialem Entzug leiden derzeit viele Menschen, Kinder und Jugendliche ganz besonders – kein Wunder also, wenn sie versuchen diesen sozialen Hunger mit Süßigkeiten zu kompensieren. Mit diesem Wissen im Hinterkopf können wir Eltern das Essverhalten unserer Kinder anders betrachten und bewerten – und sie liebevoll unterstützen, wenn es nötig ist.
In diesem Sinne: lasst es euch schmecken!
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