Die zwei Seiten der Einseitigkeit

“Es ist alles nur eine Phase!” Diesen Satz hat wahrscheinlich jeder schon mal gehört, der Kinder hat. Und so nervig dieser Satz auch manchmal ist, es steckt viel Wahrheit drin und er hat mir schon so manches Mal geholfen, die Macken meiner Mäuse mit stoischer Gelassenheit zu ertragen. Zum Beispiel, als die Mittelmaus wochenlang eine unsichtbare Freundin namens Elsa hatte – die ich im Auto stets mit an- und abschnallen musste. Oder dass das Nachtlicht der großen Maus – ein Käfer, der Sterne an die Decke projeziert – seit Jahren immer in genau der gleichen Position an genau der gleichen Stelle stehen muss. Oder der Steinfetisch der Minimaus – wir haben im letzten Jahr sicher jeden Stein in der Hand gehabt, der in unserem Viertel so rumliegt. Alles eine Phase, geht alles vorbei.

Wenn es ums Essen geht, kommt uns als Eltern dieser Satz nicht ganz so leicht über die Lippen. Schließlich werden wir an allen Ecken und Enden darauf getrimmt, dass wir (und unsere Kinder) uns ausgewogen ernähren und bestenfalls täglich die Ernährungspyramide zu 100% einhalten müssen, um gesund zu bleiben. Es versteht sich von selbst, dass angesichts dessen eine gewisse Irritation in uns aufsteigt, wenn unser Kind – so wie vor einiger Zeit unsere Mittelmaus – sich über Wochen praktisch ausschließlich von Haferflocken mit Rosinen und Milch ernährt. Zum Frühstück, zum Mittag- und Abendessen. Gerne auch noch nachmittags zwischendruch. Die Brotbox in der Schule war die einzige regelmäßige Ausnahme, weil ich mich weigerte, diese auch noch mit Müsli zu befüllen. Und ich muss gestehen, selbst ich wurde mit der Zeit ein wenig angespannt – war das nicht vielleicht doch zuviel Milch, zu wenig Obst und Gemüse? Ich kochte Lieblingsessen, kaufte Lebensmittel ein, die sonst immer der Renner waren – vergeblich. “Das schmeckt mir gerade alles nicht.” Die Haferflocken-Rosinen-Phase hielt sich wirklich lange. Und war dann von einem Tag auf den anderen vorbei. Die Mittelmaus stand morgens auf, schob die Müslischale beiseite und sagte: “Heute mag ich mal ein Marmeladenbrot.” Es wurden vier ganze Scheiben. Mittags schaufelte sie Kartoffeln und Fisch in sich hinein, abends Gemüsesticks und Käsebrot. Alles, was auch nur ansatzweise mit Müsli zu tun hatte, schaute sie über Wochen hinweg nicht mal an.

Anderes Kind, gleiches Szenario: Joghurt. Das war Minimaus´ kulinarisches Highlight um den zweiten Geburtstag herum. Sie verlangte Joghurt zu jeder Mahlzeit, meist puren Naturjoghurt, manchmal auch mit Marmelade oder Obst drin. Sie aß wirklich kaum etwas anderes, und da sie seit jeher klein und zierlich ist, waren wir alles andere als begeistert, vor allem, weil sie natürlich auch immer sehr schnell wieder Hunger bekam. Mit der Zeit gab es dann immer größere “Joghurt-Lücken”, weil die Minimaus auch bei anderen Lebensmitteln wieder zugriff. Der Joghurt verabschiedete sich so schleichend von ihrem Speiseplan, dass ich aus allen Wolken fiel, als ich eines Tages einen abgelaufenen (und tatsächlich schon vergorenen) Joghurt aus dem Kühlschrank entsorgte.

Wie so vieles andere im Leben ist also auch das einseitige Essen in den allermeisten Fällen nur eine Phase. Dafür sorgt unser Körper übrigens von ganz allein – zum einen, weil er von Natur aus darauf “programmiert” ist, sich optimal zu versorgen, indem er uns Appetit macht auf das, was er gerade braucht. Gut möglich also, dass unsere Minimaus in ihrer Joghurt-Phase einen erhöhten Eiweiß-Bedarf hatte, zum Beispiel um einen Wachstumsschub zu bewältigen. Gleichzeitig verhindert die spezifisch-sensorische Sättigung, über die ich in meinem letzten Beitrag geschrieben habe, dass wir zuviel von einem einzigen Lebensmittel oder Gericht zu uns nehmen und dadurch andere Nährstoffe zu kurz kommen. Hat sich der Körper also geholt, was er braucht, bekommen wir Appetit auf andere Lebensmittel. Folgen wir unserem Bauchgefühl (im wahrsten Sinne des Wortes), ernähren wir uns also über die Zeit gesehen durchaus ausgewogen und passend zu unserem individuellen Bedarf – auch wenn es nicht der Ernährungspyramide entsprechen mag.

So wird es denn auch bei unserer großen Maus sein. Die hat gerade eine intensive Tomate-Mozzarella-Phase. Wenn es die Zeit zulässt, bereitet sie sich das schon zum Frühstück zu. Täglich. Und auf dem Pausenbrot darf gerne Tomate-Mozzarella als Belag sein. Das Essen schmeckt nicht? Ein klarer Fall für…. richtig, Tomate-Mozzarella. Wenn Tomate oder Mozzarella leer sind (was momentan regelmäßig passiert), mischt sich die große Maus Olivenöl mit Balsamico und tunkt eine Scheibe Brot hinein. Was will der Mensch mehr…… ?!? Ich ertrage die Phase mit stoischer Gelassenheit und der Gewissheit, dass sie vorbei gehen wird. Und wenn ich vorhabe mit Mozzarella zu kochen, lege ich mir die entsprechende Menge beiseite. Alles andere erledigt die Zeit.

Übrigens: Studien haben bereits mehrfach belegt, dass die allermeisten Kinder in Deutschland mit allen Nährstoffen, Vitaminen und Mineralstoffen versorgt sind, die sie brauchen. Das gilt auch für Kinder, die sehr einseitig essen. Noch ein Grund sich zu entspannen. Und klar, diese Phasen sind bisweilen nervig – andererseits: wer zu Hause einen Picky Eater hat (so der Fachbegriff für Kinder, die nur wenige Lebensmittel zu sich nehmen), weiß wenigstens immer, was er auf den Tisch bringen soll.

In diesem Sinne: lasst es euch schmecken!

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