Wenn der Nachtisch zur Vorspeise wird

Es war einer dieser Tage, an denen man kurz nach dem Mittagessen auf die Uhr schaut und sich wünscht, es wäre schon Bettgehzeit. Zäh wie Kaugummi, ein Durchhangeln von einem Streit und Gezicke zum nächsten. Solche Tage gibt es einfach. Kennen wir alle, müssen wir durch.

Das Abendessen nahte und ich war getrieben von dem Gedanken, ein Gericht auf den Tisch zu bringen, das sich easy zubereiten lässt, während ich Minimaus davon abhalte die Topfpflanzen zu entblättern, der Mittelmaus bei den immer noch nicht fertigen Hausaufgaben helfe und der großen Maus zum wiederholten Mal bestätige, dass eine Stunde Medienzeit am Tag definitiv ausreichend ist. Milde formuliert. Und, ganz wichtig: ich wollte etwas kochen, das möglichst allen schmeckt und nicht auch noch am Tisch für lange Gesichert sorgt. Denn auch wenn es bei uns ja immer Alternativen in Form von Brot oder Müsli gibt, mögen wir doch alle am Abend ein warmes Essen am liebsten.

Nach einigem Überlegen kam ich zu dem wenig überraschenden Schluss, dass Nudeln mit Soße wahrscheinlich eine sichere Bank wären. Dazu Rohkost und ein Obstteller und dann bitte Feierabend für heute. Ich hatte nicht mit Minimaus gerechnet. Die erinnerte sich in just dem Moment, als ich das Essen auf den Tisch stellte, an die drei Lollis, die im Schrank lagen und die ich den Mäusen zum Nachtisch versprochen hatte. Und Minimaus entschied, dass sie ihren Lolli zu essen gedenke. Und zwar JETZT. Und nein, ohne Nudeln vorher. Das Unheil drohte seinen Lauf zu nehmen und das entspannte Essen schien verloren.

Und dann entschied ich mich spontan für den Weg des geringsten Widerstands. Ich ging zum Schrank, holte die drei Lollis, legte sie auf den Tisch und sagte: “Einer für jeden. Ihr könnt sie essen, wann ihr wollt.” Mein Mann zog die Augenbrauen hoch, die Überraschung bei den Mäusen war derart groß, dass der übliche Streit, wer welche Sorte bekommt, ins Wasser fiel. Und ich hoffte inständig, dass die Minimaus merken würde, dass ein Lolli nicht wirklich satt macht.

Was darauf folgte, war ein wirkliches Aha-Erlebnis. Die beiden großen Mäuse nahmen sich einen Lolli und platzierten ihn neben ihren Tellern. Wir nahmen uns Nudeln mit Soße und fingen an zu essen. Die Minimaus nahm einen Lolli, riss das Papier ab und begann genießerisch zu schlecken.

Nach einigen Minuten – der Lolli war nicht einmal halb leer – legte die Minimaus ihn beiseite, schob den Teller in die Mitte und sagte ruhig und zufrieden: “Jetzt möchte ich Nudeln.” Sie verputzte zwei Teller voll, dazu Obst und Gurke, und ging danach fröhlich zum Spielen. Der Lolli? Lag einsam und verlassen auf dem Tisch. Sie hat nicht mehr danach gefragt. Und mir wurde wieder einmal klar, wie schwer es auch mir immer noch fällt, im Vertrauen zu bleiben und meinen Kindern zuzutrauen, dass sie gute Entscheidungen für sich treffen können. Und das, obwohl ich diese Erfahrung ja schon des öfteren gemacht habe, wie ich z. B. hier berichtet habe. Aber viel zu oft haben wir – mich eingeschlossen – Glaubenssätze im Kopf, wie “man” etwas macht. Und vor dem Essen isst man nunmal keine Süßigkeiten, dachte ich.

Ob ich deshalb jetzt den Nachtisch proaktiv zur Vorspeise anbiete? Wohl eher nicht. Aber ich werde künftig keinen größeren Widerstand mehr leisten, wenn die Mäuse darum bitten, den Nachtisch gleich zu bekommen. Natürlich muss ich dann auch akzeptieren, wenn sie vielleicht tatsächlich mal nur die Süßspeise essen. Aber ich vertraue immer mehr darauf, dass sie schon merken werden, ob sie davon satt werden oder nicht, und dass sie zu anderen Lebensmitteln genauso gerne greifen werden, wenn die komplette Nahrungspalette erlaubt ist – denn dann sind Süßigkeiten nicht besser und nicht schlechter als ein Apfel, ein Käsebrot oder ein Teller Nudeln mit Soße.

In diesem Sinne: lasst es euch schmecken!

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