Das kann ich nicht essen!

Kürzlich in den Sommerferien: die beiden großen Mäuse hatten eine Freundin zum Übernachten eingeladen und sich zum Frühstück unsere heißgeliebten Pancakes gewünscht. Kein Problem, ich hatte noch eine ganze Menge davon im Tiefkühlfach und die kleinen Leckerchen lassen sich im Toaster blitzschnell auftauen. Also stand bald ein Teller mit dampfenden Pancakes vor den drei Damen. Dazu wie immer eine Bandbreite an möglichen Aufstrichen und Toppings – darunter auch Ahornsirup. Unser Gastkind nahm sich die Flasche, drehte sie um… und studierte erstmal ausgiebig die Nährwerttabelle. “Was, soviel Zucker?” rief sie entsetzt, “das kann ich nicht essen!” Und kurz darauf die vorsichtige Frage: “Ist da etwa auch noch Fett drin?” Ich war erstmal sprachlos. Denn wir reden hier wohlgemerkt von einer Grundschülerin. Ein gertenschlankes Kind in einem Alter, in dem sich meiner Ansicht nach kein Kind überhaupt einen Gedanken um die Inhaltsstoffe eines Lebensmittels oder, noch schlimmer, um seine Figur machen sollte.

Als ich meine Sprache wiederfand, erklärte ich erstmal meine Ansicht, dass kein Lebensmittel per se gut oder schlecht ist. Dass es immer auf die Menge ankommt und darauf, dass man das isst, was der Körper gerade braucht. Und dass in bestimmten Fällen – zum Beispiel nach einer intensiven Spielplatzrunde, einer langen Radtour oder nach zwei Stunden wildem Planschen im Freibad – der Körper tatsächlich auch Zucker braucht, um die verlorene Energie wieder aufzufüllen. Dass wir deshalb eigentlich nichts falsch machen können, wenn wir auf unser Bauchgefühl hören. Unser Gastkind hörte interessiert zu. Und nahm sich kurz darauf einen kleinen Klecks Ahornsiurp zum Pancake.

Anderer Ort, ähnliches Beispiel. Beim Einkaufen im Supermarkt liefen mir neulich gleich zwei entfernt bekannte Mutter-Tochter-Paare über den Weg, beide Mädchen im frühen Teenie-Alter. Und beide standen mit ihren Müttern über verschiedene Lebensmittel gebeugt und studierten die Zutatenlisten. Ich habe nicht gelauscht, aber im Vorbeigehen konnte ich den Gesprächsfetzen entnehmen, dass es auch hier um Zucker und Fett ging und die Mütter darauf basierend die Töchter überzeugen wollten, dass sie das nicht kaufen und schon gar nicht essen könnten.

Ich möchte an dieser Stelle gar nicht behaupten, dass es nicht sinnvoll sei darauf zu achten, was zu Hause auf den Tisch kommt. Das mache ich auch. Auch ich lese mir manchmal die Inhaltsstoffe von Lebensmitteln durch und entscheide dann, sie nicht zu kaufen – dabei spielen dann aber eher Zusatzstoffe, Geschmacksverstärker, gehärtete Fette oder sonstige Chemiekeulen eine Rolle. Das erkläre ich dann auch meinen Kindern und sage, dass ich keine Lebensmittel kaufen möchte, die praktisch nur aus künstlichen Bestandteilen bestehen. Mit Zucker oder Fett argumentiere ich nie. Schließlich brauchen wir sowohl das eine als auch das andere – unser Organismus kann weder komplett fettfrei noch gänzlich ohne Zucker (bzw ohne Kohlenhydrate, die diesen ja enthalten) überleben.

Leider beobachte aber nicht nur ich, sondern auch viele meiner Kolleginnen bei confidimus immer öfter solche Begebenheiten, wie ich sie oben geschildert habe. Und das ist in meinen Augen fatal. Denn ein Diskurs, der Fett und Zucker als Übeltäter in den Vordergrund stellt und Kinder womöglich noch dazu animiert, auf die Kalorienzahl zu achten, erzeugt einen unglaublichen Druck auf diese Kinder. Druck, sich zu beherrschen, Gelüsten nicht nachzugeben, schlank zu sein und zu bleiben. Wer mit diesem Druck lebt, verlernt auf seine innere Stimme, seine Bedürfnisse zu hören. Langfristig kann diese Haltung, die immer mehr Eltern ihren Kindern vermitteln, sogar dazu beitragen, dass sich Essstörungen entwickeln – Magersucht, wenn Kinder allzu angepasst sind und die ihnen auferlegten Essregeln bis zur Perfektion einhalten wollen, aber auch Bulimie oder Adipositas, wenn die strenge Esskontrolle in ungezügelte Nahrungsaufnahme umschlägt. Seit einiger Zeit zählen auch das sogenannte Binge Eating und die Orthorexie zu den Krankheitsbildern der Essstörungen. Beim Binge Eating leben die Betroffenen im Grunde nach strengen Diätregeln, erleben aber immer wieder und immer häufiger (oftmals nach Diäten) unkontrollierte Fressanfälle, nach denen sie jedoch nicht erbrechen. Die Orthorexie bezeichnet die zwanghafte Fokussierung auf “gesunde” Lebensmittel. Betroffene wägen jede Mahlzeit, jeden Bissen auf Nährwerte, Qualität und Gesundheitsnutzen ab und lassen mit der Zeit immer mehr vermeintlich ungesunde Lebensmittel weg, sodass es zu Mangelerscheinungen kommen kann.

All diesen Süchten und den damit verbunden körperlichen und seelischen Belastungen ebnen wir mit einer zu starken Fokussierung auf Fett, Zucker und “gesunde” Ernährung den Weg. Dabei wollen wir Eltern doch immer nur das Beste für unsere Kinder. Was also können wir tun?

  1. Als erstes können wir als Eltern die Verantwortung für das Nahrungsmittelangebot zu Hause übernehmen. Wenn wir dafür Sorge tragen, dass das Essen zu Hause, die Brotbox in Kita und Schule aus einer ausgewogenen Mischkost besteht, müssen wir uns weder vor Ahornsirup noch vor Süßigkeiten fürchten.
  2. Wir können und sollen darauf vertrauen, dass unsere Kinder spüren, was sie brauchen. Dass sie sich aus dem angebotenen Nahrungsspektrum das nehmen, was ihnen gut tut. Auch wenn das vielleicht etwas weniger Obst und Gemüse ist, als wir für gut befinden würden.
  3. Es ist sehr hilfreich, sich ein Stück weit von gesellschaftlichen Normen im Hinblick auf die Körperfigur zu distanzieren. Die Bandbreite an Körperformen ist enorm, und die allermeisten Menschen entsprechen eben nicht genau dem Schönheitsideal, dass jeweils gerade “in” ist. Daher sollten wir unsere Kinder vor allem darin unterstützen, sich selbst zu mögen, wertzuschätzen und den eigenen Körper gut zu behandeln – auch durch eine gute Ernährung. Dass das nicht immer leicht ist, weiß ich aus eigener Erfahrung – als Mutter von zwei sehr schlanken und einer ziemlich “stabilen” Maus muss ich mir selbst immer wieder klarmachen, dass es eben einfach unterschiedliche Staturen gibt und keine besser oder schlechter ist.

In diesem Sinn: esst mehr Pancakes. Mit Ahornsirup. Aber nur, wenn sie euch schmecken!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert